Das Spargelorakel

Ich mache mir keine Sorgen um das Klima. Das eigentliche Problem sind die Polen. Die alten Griechen hatten Delphi. Ich habe den Spargel. Den norddeutschen, um präzise zu sein. Beispiel: Dotcomboom Ende der neunziger Jahre. Die Wirtschaft brummt. Keine Rede von Arbeitslosigkeit. Und dann kommt der Spargel. Arbeitslose ab zum Spargelstechen, fordern ein paar Beamte und Politiker. Andernfalls Leistungskürzung. Die Spargelbauern schlagen die Hände über den Köpfen zusammen. Bloß nicht! Die Leute kommen eh nicht. Und das ist noch das Beste an ihnen. Weil sie nicht Spargel stechen können. Schneiden alles kurz und klein, ist nur mehr als Bruch zu verkaufen, das Zeug. Den ganzen Tag gebückt über ein Feld gehen, können die Polen besser. Und billiger. Warum sie dann das Problem sind? Kommt gleich. Zuerst noch die eigentliche Frage: Wie kommt man bei brummender Wirtschaft auf die Idee, Arbeitslose zum Spargelstechen zu schicken? Ein Jahr später platzt die Dotcomblase. Die Baisse beginnt. Auf einmal sind Arbeitslose das deutsche Megathema. Der Spargel wusste es schon. So wie 2006. Man erinnert sich mit Grausen. Der Spargel blieb fast aus. Die Ernte war miserabel. Alle Welt klagte. So kalt, das Wetter spielt verrückt, was ist da los? Seit 2007 ist es amtlich. „Die Erde schmilzt“, titelte Der Spiegel gerade launig. Gigathema des Jahres ist das Klima. Der Spargel wusste es im voraus. Wir dagegen wissen nicht, woher der norddeutsche Spargel weiß. Übrigens nur dieser. Vom österreichischen Spargel etwa ist nur bekannt, dass es ihn auch lila gibt. Vielleicht müsste man da ein anderes Gemüse um die Zukunft befragen. Seltsam, dass die Werbung das Phänomen noch nicht entdeckt hat. Spargel mit emotionalem Zusatznutzen: „Der Spargel mit Zukunft“, oder so, da fiele einem schon was ein. Aber, wie gesagt, um das Klima mache ich mir keine Sorgen. Der norddeutsche Spargel hat nämlich schon ganz andere: Ihm gehen die Polen aus. Die sind weiter gezogen, nach Frankreich und Großbritannien. Verdienen dort besser. Und wer erntet jetzt den Spargel in Schleswig Holstein und Niedersachsen? Die Arbeitslosen etwa? Soviel kann man heute, Frühjahr 2007, sagen: Terathema 2008 wird die neue Völkerwanderung. Dann haben wir auch wirklich genug gehört vom Klima. Mahlzeit!