Elternparadoxon

Ich wollte nicht werden wie meine Eltern. Ein bekanntes Phänomen bei jungen Menschen. Meine Eltern waren wie alle anderen. Wahrscheinlich wie Ihre Eltern, lieber Leser. Wie die meiner Freunde auf jeden Fall. Unsere Eltern. Der Vater verschwand morgens um acht zur Arbeit. In einem großen, grauen Bürogebäude. Gemeinsam mit tausend anderen. Um fünf kam er wieder heraus. Mit tausend anderen. Dreißig Jahre lang. Jeden Morgen. Jeden Nachmittag. Immer dasselbe Gebäude. Immer dieselbe Firma. Als die Kinder kamen, wurde meine Mutter Hausfrau. Und blieb es. Wo waren Sie in den Ferien? Wir waren zum Camping in Italien. Oder Jugoslawien. Oder Griechenland. Oder Urlaub am Bauernhof. Manchmal mit Verwandten oder Freunden. Konnte auch passieren, daß man zufällig Bekannte dort traf. Wo wir waren, waren auch die anderen. Und umgekehrt. Massen. So wollte ich nicht werden. So wollte keiner meiner Freunde werden. Wie unsere Eltern. Wir würden anders werden. Einzig. Wir würden nicht jeden Morgen ins selbe Büro gehen, tagaus, tagein, Jahr für Jahr, bis zur Rente. Wir würden nicht dorthin fahren, wo alle anderen hinfuhren. Und wissen Sie was? Genauso ist es gekommen! Ich bin jetzt Vierzig, arbeite seit siebzehn Jahren. In dieser Zeit war ich bei neun Arbeitgebern beschäftigt (eine schnelllebige Branche, zugegeben). Mehrmals arbeitslos. Nie länger als zweieinhalb Jahre in dasselbe Büro gegangen. Seit ein paar Jahren selbstständig. Das ganze in zwei Staaten und drei Städten. Die meisten meiner Freunde haben eine ähnliche Geschichte. Mindestens den dritten Arbeitgeber. Dazwischen schon mal arbeitslos. Beide Elternteile arbeiten trotz Kindern, die Emanzipation, und man will sich ja auch was leisten. Die Hälfte ist allerdings schon wieder geschieden. Auf Urlaub fuhren wir bis vor kurzem - wenn überhaupt - auf die einsame Insel, wo wir sicher keine bekannten Gesichter treffen. Wir haben es geschafft! Wir sind nicht wie unsere Eltern geworden. Wir sind einzig. Alle. Massen Einziger. Wäre ich wie meine Eltern geworden, ich würde dazwischen ganz schön auffallen. Paradox. Wir sind wie unsere Eltern geworden. Weil wir nicht wie unsere Eltern geworden sind.