Positiv

Bis zu jenem Morgen war ich skeptisch. Positiv denken? Wer nicht negativ denken kann, kann auch nicht positiv. Dachte ich. Negativ. Positiv. Ein Kind der digitalen Welt, was soll ich sagen? 010101. Aber wenn was schlecht ist, muss man es auch schlecht nennen dürfen (und wenn es nicht schlecht ist, muss man es schlecht machen dürfen. Wofür leben wir denn in diesem Land? Anm.: Österreich, ja jetzt ist es raus). Pessimisten sind Optimisten, die mehr wissen, hat irgendwer einmal gesagt. Was wissen wir heute noch? Wir glauben. Ich glaube, die so genannten Pessimisten sind die wahren Optimisten. Sie befürchten das Schlimmste - daher kann es für sie nur besser kommen. Vice versa mit den Optimisten. Arme Schweine. Kommt immer schlechter, als sie denken. Nicht beneidenswert. Außerdem finden Optimisten immer eine Lösung. Dabei weiß heute ohnehin jeder eine Lösung zu jedem Problem. Das Problem sind zu viele Lösungen. Und dann muss man streiten, welche die richtige ist. Voilà, der Pessimist: er findet zu jeder Lösung ein Problem. Ich habe auch schon in diesen Büchern geblättert. Man wird ja förmlich gezwungen. Immerhin bemängelte man schon mal meinen kritischen Geist (so nenne ich das). Außerdem soll positives Denken ja dienlich sein. Der Karriere, dem Sex, der Verdauung. Mal ehrlich, so ein Buch liegt doch bei jedem von uns herum. Nicht nur bei Frauen. Die Philosophie dieser Ratgeber ist simpel: Alles hat seine gute Seite. Man muss sie nur sehen. Gefeuert? Wunderbar, wie oft bekommen Sie schon die Chance zu einem Neuanfang? Von der Partnerin verlassen? Endlich frei! Und mir fielen noch schlimmere Beispiele ein. Pardon, bessere, in der positiven Denke. Aber man braucht gar nicht so dramatisch werden. Positives Denken beginnt bei den kleinen Dingen, auch das lehren uns die Ratgeber. Bei den - nochmals pardon - Widrigkeiten des alltäglichen Lebens. Sind ja viel häufiger als die großen Dramen. An jenem Morgen also begriff ich. Positives Denken. Ich höre sie noch immer. Die Kolleginnenstimme, aus der Toilette. Etwas verschlafen, aber gut aufgelegt. Geradezu fröhlich. Dabei könnte man sich über einen Pickel ärgern, der einen am frühen Morgen aus dem verschlafenen Gesicht anstarrt. Aber nein. Nicht, wenn man positiv ist (und der Pickel an der richtigen Stelle sitzt). Dann konstatiert man freudig: „Ich habe ein Cindy Crawford Pickel!“ (Dass sich überhaupt noch jemand an die erinnert!)